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Dr. Marcel Schütz, Prof. Dr. Hermann, Prof. Dr. Sorgenfrei und Prof. Dr. Daube (v.l.n.r.)

Am Dienstag, den 15. März 2022, fand aus Anlass des Krieges in der Ukraine zur Einordnung und Diskussion der Ereignisse an der NBS Northern Business School eine Podiumsdiskussion statt. Podiumsteilnehmer waren Professor Dr. Carl Heinz Daube, Professur Finanzierung und Prorektor Forschung, Professor Dr. Sven Hermann, Professur Logistik & Supply Chain Management und Professor Dr. Jürgen Sorgenfrei, Professur Projektmanagement. Moderiert wurde die Diskussion von Dr. Marcel Schütz, Research Fellow und Lehrbeauftragter an der NBS Northern Business School. 

Einleitend führte Carl Heinz Daube aus, dass er sich nicht habe vorstellen können, dass in Europa derartige kriegerische Auseinandersetzungen möglich seien. Deutschland und die anderen europäischen Länder treffe diese Entwicklung wegen der Nachwirkungen der Pandemie zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. 

Sven Hermann schilderte die Krise aus dem logistischen Blickwinkel. Umleitung von Luftfracht, teurer Sprit, bis zu 100.000 LKW-Fahrer, die ersetzt werden müssen: Hier stelle sich Unternehmen die Frage, wie man Logistik-Ketten zukünftig nachhaltiger gestalten könne.  

Jürgen Sorgenfrei, der Russland rund 80 Mal bereist und Michail Gorbatschow, Wladimir Putin und Anatoli Sobtschak mehrmals persönlich getroffen hat, kann aufgrund dieser persönlichen Erfahrungen auf ein äußerst differenziertes Russland-Bild zurückgreifen. 

Angesichts der noch nicht ausgestandenen Pandemie-Folgen und der nun stattfindenden kriegerischen Auseinandersetzungen stellte Marcel Schütz die Frage: Müsse man sich auf einen Normalmodus der Krise einstellen? Daube hoffe, nicht. Rechnen müsse man aber damit, dass es noch die ein oder andere Verwerfung geben werde. Börsenseitig sei das Szenario extrem volatil, ganz im Gegensatz zum Börsengeschehen während der Pandemie. Daube befürchte, wir werden uns noch einige Zeit in einem Krisenszenario befinden, teilweise auch aus irrationalen Gründen: So seien bei einigen Produkten mancherorts bereits leere Supermarktregale zu verzeichnen. 

Wie ist das Handeln Wladimir Putins zu interpretieren? Sorgenfrei traf Putin Anfang der 1990er Jahre mehrere Male. Putin sei ein intelligenter Zeitgenosse und eifere nicht einem zaristischen Idol nach. Putins Weltbild sei russozentrisch und historistisch geprägt, und er sehe die Ukraine aus dieser Perspektive immer noch als das historische "Kleinrussland" an, das zum russischen Reich gehöre. Russland habe jedoch nicht mehr das politische Gewicht, das es früher einmal hatte. Dazu habe der Aufstieg Chinas beigetragen, an die übermächtige Rolle der USA habe Russland ohnehin nie herangereicht. Die Ausdehnung der NATO sehe Putin in diesem Kontext als Bedrohung Russlands an. Putin habe sich die letzten Jahre mit Menschen umgeben, die ihn in dieser Weltsicht bestärken. Dass Russland unbestreitbar heute selbst und durch den Krieg in der Ukraine wirtschaftliche Knappheiten hervorrufen kann – sei es Weizen- oder Energieknappheit – unterstütze diese Sicht zusätzlich. Dabei sei Russland mit seinen rund 150 Millionen Einwohnern gerade etwa doppelt so groß wie Deutschland. Wichtig sei, dass man Russland nicht mit Putin und seiner Oligarchen-Kaste gleichsetzen dürfe, die die Eskalation bewusst vorangetrieben hätten.  

Hamsterkäufe, Lieferketten, Störungen noch aus der Corona-Krise – werden wir wieder vor teilweise leeren Supermarktregalen stehen? Engpässe seien vorwiegend von irrationalem Verhalten der Konsumenten geprägt und man müsse hoffen, dass die Lieferketten ausreichend flexibel aufgestellt sind, so Logistik-Professor Hermann. Wir lebten in einer Dauerkrise, auch mit Blick auf die gesamte Welt.  

Wirtschaftliche Dämpfer, enttäuschte Impfstoff-Hoffnungen: Mit welchen längerfristigen Störungen ist zu rechnen? Daube sieht zwei Schienen: zum einen das Management der Corona-Krise und steigende Inzidenzen. Das werde uns noch weiter begleiten, auch durch kommende Mutationen. Zum anderen binde die Ukraine-Krise viele materielle und mentale Ressourcen. 

Wie ist die Rolle Chinas in diesem Konflikt zu interpretieren? Sorgenfrei führte aus, dass China nach wie vor keinen Waffen liefern werde, wirtschaftlich jedoch mit Russland verbunden bleibe, ohne dass es Sanktionen riskiere. Insofern würde China ganz bewusst eine Zwischenposition und den typischen chinesischen Mittelweg beibehalten. Es sei dabei aber zu berücksichtigen: Russland sei deutlich mehr von China abhängig als China von Russland. China wird insgesamt auf ein schnelles Ende des Krieges hoffen und sich ansonsten eher passiv verhalten. 

Welche Konzepte und Vorbereitungen gibt es auf Management-Ebene, um die logistischen Lieferketten vor vulnerablen äußeren Effekten zu schützen? Hermann schilderte, dass Unternehmen bereits während der Corona-Krise vom Just-in-time-Ansatz abgerückt seien und wieder dazu übergegangen seien, Lagerbestände aufzubauen, um wieder mehr Flexibilität in den Lieferketten zu haben.  

Hat die Krise Auswirkungen auf die Globalisierung? Es gebe historische Phasen, so Daube, in denen sich Globalisierung auch wieder zurückentwickle oder sich konsolidiere. So hat die Corona-Krise auch deutlich gemacht, dass teilweise zu große Abhängigkeiten von einzelnen Standorten bestanden habe. So habe die Maskenproduktion in Deutschland und Europa erst wieder erlernt werden müssen. Hermann vermutet, dass die Globalisierung einen länger anhaltenden Dämpfer erhalten und es "Abschottungstendenzen" geben werde. 

Ist das Motto "Wandel durch Handel" tot, ist die deutsche Wirtschaftsaußenpolitik gescheitert? Sorgenfrei betonte, vieles sei von den aktuellen Bildern bestimmt, es fehle die Weitsicht. Globalisierung sei in der westlichen Welt durch den vermeintlichen Nexus von wirtschaftlichem Erfolg und Demokratie geprägt. China zeige aber, dass wirtschaftlicher Erfolg auch unter diktatorischen Rahmenbedingungen möglich ist. Und Russland könnte sich dies zum Beispiel nehmen: Wir können auch so erfolgreich sein wie China . Sorgenfrei glaube nicht, dass Russland zu einem demokratischen Staat werde. Auch neue Regierungen werden das politische System nicht um 180 Grad drehen.  

Könnten die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und Europa durch die Krise einen wesentlichen Aufschwung erfahren? Sorgenfrei wies auf die geplanten LEG-Terminals hin. Es handele sich hier um reines Fracking-Gas. Das sei zum einen umweltschädlich, zum anderen teuer. Die USA hätten handfeste wirtschaftliche Interessen, sie haben keinen zweiten Marshallplan im Sinn, dieser Illusion solle man nicht aufsitzen. 

Stichwort Energiesicherheit: Ist davon auszugehen, dass Russland in ein Bedrohungsszenario übergehen wird? Sorgenfrei betonte, Russland brauche das Geld. Europa sei aber gut damit beraten, eigene Energiesicherheit herzustellen und möglichst autark zu werden.  

Kommt es zu einer Verzögerung der Energiewende oder ist die Krise ein Katalysator für die Energiewende? Hermann meinte, dass wir eventuell auch Rückschritte sehen werden, aber dass die Krise in erster Linie als Treiber anzusehen sei. 

Inwiefern werden die Sanktionen Auswirkungen auf Russland haben? Sorgenfrei äußerte, dass die Sanktionen, die einflussreiche Oligarchen treffen, Auswirkungen haben werden und dass hier die Hebel anzusetzen seien. Die Sanktionen, die die breite Bevölkerung treffen, interessiere die Regierung nicht. 

Marcel Schütz beschloss die Diskussion mit einem Zitat von Leo Tolstoi: "Wenn alle Menschen nur aus Überzeugung in den Krieg zögen, dann würde es keinen Krieg geben." 

Die NBS Northern Business School – University of Applied Sciences ist eine staatlich anerkannte Hochschule, die Vollzeit-Studiengänge sowie berufs- und ausbildungs-begleitende Studiengänge in Hamburg anbietet. Zum derzeitigen Studienangebot gehören die Studiengänge Betriebswirtschaft (B.A.), Sicherheitsmanagement (B.A.), Soziale Arbeit (B.A.) und Real Estate Management (M.Sc.).

Ihr Ansprechpartner für die Pressearbeit an der NBS Hochschule ist Frau Kathrin Markus (markus[at]nbs.de). Sie finden den Pressedienst der NBS mit allen Fachthemen, die unsere Wissenschaftler abdecken, unter www.nbs.de/die-nbs/presse/pressedienst.