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NBS-Research Fellow Prof. Dr. Wilma Merkel hat ein spannendes Interview mit Dr. med. Andreas Schnitzler, Leiter der Nephrologischen Praxis und Dialyse Lüneburg, zur Einordnung der Meldungen über Diebstähle im Gesundheitswesen geführt. Dr. Schnitzler ist als Inhaber und Leiter der Nephrologischen Praxis und Dialyse Lüneburg, einschließlich Diabetologischer Schwerpunktpraxis (KVN), neben der effizienten Aufbau- und Ablauforganisation der Einrichtung auch für deren Sicherheit verantwortlich.

Frage: In den vergangenen Wochen konnten Ärzte, unsere großartigen Pflegekräfte und all ihre Helfer in Deutschland gewährleisten, dass in der Corona-Krise niemand unversorgt bleibt. Zur guten Versorgung gehört auch die Sicherung der materiellen und immateriellen Voraussetzungen des Gesundheitswesens. Und hier hören wir aktuell immer wieder von Engpässen, die u. a. verstärkt werden durch Diebstähle. Wo liegen nach Ihrer Meinung dafür die Ursachen?

Dr. med. Andreas Schnitzler: Eine der wesentlichsten Ursachen sind neben Vandalismus sachliche und immaterielle Begehrlichkeiten, die nicht nur, aber auch, durch gegenwärtige Defizite am Markt ausgelöst werden. Insgesamt handelt es sich hierbei um kein neues Phänomen, sondern eines, welches aktuell stärker in den Fokus gerückt ist. Dabei ist aber auch zu hinterfragen, ob es dabei besondere Risiken im Gesundheitswesen gibt, die besondere Maßnahmen erfordern, oder ob es nicht vielmehr ein "normales" Alltagsrisiko ist. 

Frage: Was sind Ihrer Meinung nach sachliche Begehrlichkeiten und worauf richten sie sich?  

Dr. med. Andreas Schnitzler: Verbrauchsmaterial, Geräte, Arzneimittel, Allgemeingüter. Zum Verbrauchsmaterial muss man Schutzausrüstungen, Handtücher, Toilettenpapier, Desinfektionsmittel, um nur einige zu nennen, rechnen. Bei den Geräten geht es in der Mehrzahl der Fälle um allgemein verkäufliche Geräte, z. B. Blutdruckmessgeräte und um Inventar wie Küche, Bettwäsche etc. Bei den Arzneimittelnhandelt es sich vor allem um Betäubungsmittel,  Narkose- und Schlafmittel als Ko-Medikation zu Betäubungsmitteln. Nicht vergessen werden dürfen Allgemeingüter aus Patientenzimmern, Wartezimmern wie Taschen und Mantelinhalte, ebenso aus der Personalumkleide. Dabei handelt es sich nach Berichten um Bargeld aus Trinkgeldern, aus der Portokasse, früher auch Gelder aus der Praxisgebühr.

Frage: Was verstehen Sie unter immateriellen Begehrlichkeiten und was gehört dazu?

Dr. med. Andreas Schnitzler: Sie umfassen Patientendaten wie Stammdatensätze mit Diagnosen, an denen Medizinprodukthändler und Werbefirmen interessiert sein können. Weiterhin Praxisdaten z. B. über  Umsatz, Personaldaten, über die sich Wettbewerber/potentieller Käufer und Headhunter gern informieren. Ein Worst Case Szenario ist für jede medizinische Einrichtung der Versuch des Zugriffs auf Praxiskonten.

Frage: Welche Tätergruppen sehen Sie hinter den von Ihnen genannten Begehrlichkeiten?

Dr. med. Andreas Schnitzler: Die Frage ist schwer zu beantworten, da das Haupthindernis dafür die Schweigepflicht ist. Ermittlungen "gegen unbekannt" sind möglich, aber sehr selten erfolgreich. Prinzipiell kommen hierfür Täter aus dem Kreis der Patienten, ggf. unzufriedenes bzw. ehemaliges Personal, Besucher, Taxifahrer bis hin zu organisierten Banden infrage. Auch externe EDV-Zugriffe sind denkbar.

Frage: Welche Möglichkeiten der Prävention könnten Sie sich nach der Vielzahl der auf den Bereich des Gesundheitswesens gerichteten Begehrlichkeiten und den zum Teil schwer erkennbaren Tätergruppen vorstellen?

Dr. med. Andreas Schnitzler: Ein Schwerpunkt hierfür liegt in der Klinik- und Praxisorganisation. Die patientenbezogenen Arbeitsabläufe verlangen Zugang zu allen erforderlichen Ressourcen, aber gleichzeitig auch deren Schutz. Hier arbeiten wir gemeinsam mit dem Team des Studiengangleiters Sicherheitsmanagement der Northern Business School Hamburg, Prof. Dr. André Röhl,  an weiteren komplexeren Lösungen. Unsere Strategie ist: offenes Haus bei verschlossenen Türen für selten genutzte Bereiche, evtl. mit "Fallenschloß". Dazu gehören nach gegenwärtigem Stand auch ein wirksamerer Passwortschutz, Datensparsamkeit – denn nur Daten, die nicht existieren, können weder entwendet noch missbraucht werden. Zur Prävention gehört auch ein kompromissloser, umfangreicher Arbeitsschutz für alle Mitarbeiter. Ein Problem für uns dabei ist, dass die durch diese Maßnahmen zusätzlich entstehenden Kosten – im Gegensatz zum Handel – nicht weiter gegeben werden können.  Auch aus diesem Grund sind Sicherheitsmitarbeiter, Videoüberwachung und elektronische Zutrittskontrolle gegenwärtig undurchführbar.

Herr Dr. Schnitzler, vielen Dank für das Interview.