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Vor einem Vierteljahrhundert noch Zukunftszug: Der Transrapid auf der Versuchsstrecke im Emsland. Bild: thyssenkrupp Transrapid GmbH.
Vor einem Vierteljahrhundert noch Zukunftszug: Der Transrapid auf der Versuchsstrecke im Emsland. Bild: thyssenkrupp Transrapid GmbH.
NBS-Organisationsprofessor Marcel Schütz ordnet das Scheitern des Transrapid-Projekts ausführlich ein. Bild: NBS/Privat.
NBS-Organisationsprofessor Marcel Schütz ordnet das Scheitern des Transrapid-Projekts ausführlich ein. Bild: NBS/Privat.

Warum eine zukunftsweisende Technologie trotz Milliardeninvestitionen nicht ins Rollen kam – und was das über den Umgang mit Innovation heute verrät. Ein Themenspezial mit NBS-Organisationsprofessor und Soziologe Prof. Dr. Marcel Schütz, welcher vom Deutschlandfunk zu diesem spannenden Thema interviewt wurde.

Wenn wir von Innovation sprechen, denken viele an Fortschritt, Zukunft und technische Überlegenheit. Doch Innovation ist nicht einfach das Ergebnis exzellenter Ingenieurskunst. Sie ist ein gesellschaftlicher Prozess, der von Organisationen, Erwartungen und Machtverhältnissen mitgeprägt wird.

Das zeigt kaum ein Fall so anschaulich wie der deutsche Transrapid. Die Magnetschwebebahn galt in den 1990er Jahren als Symbol einer Zukunft des Hochgeschwindigkeitsverkehrs: leise, superschnell und emissionsarm. Milliarden flossen daher in Forschung, Entwicklung und Teststrecken. Ausgerechnet im symbolträchtigen Jahr 2000 wurde das Prestigeprojekt des geplanten Baues der Strecke Hamburg–Berlin dann gestoppt – und das kurz vor Spatenstich.

25 Jahre später ist klar: Der Transrapid ist nicht an seiner Technologie, sondern an seinem Kontext gescheitert. Was lässt sich daraus lernen – für Innovationstätigkeit, Unternehmen und Gesellschaft? Darüber haben wir ausführlich mit Prof. Dr. Marcel Schütz gesprochen.

NBS: Herr Professor Schütz, zum Verständnis für unsere Leserinnen und Leser: Wie funktioniert der Transrapid eigentlich?

Schütz: Ich versuche es einmal, obwohl ich mich normalerweise mit Prozessen und Entscheidungen beschäftige, die solche Technologien hervorbringen, weniger mit den elektromagnetischen Feldern selbst. Kurz gesagt: Der Transrapid nutzt die sogenannte Magnetschwebetechnik. Er fährt nicht auf Rädern, sondern er schwebt – auf einer eigens errichteten erhöhten Trasse – über der Strecke, weil Magnete ihn sowohl anheben als auch vorwärtstreiben.

Das Prinzip wurde erstmals vor rund hundert Jahren erdacht und ist raffiniert: Elektromagnete im Fahrzeug ziehen es im Millimeterabstand an eine Führungsschiene heran. Weitere Magnete sorgen für den Vortrieb. Das Ergebnis ist ein nahezu reibungsfreies Schweben, leiser als herkömmliche Züge auf Rädern, sehr schnell und, mangels mechanischer Reibung, dabei mit wenig Energieverlust und Materialbelastung. Ein Transrapid kann ein Tempo um und über 500 km/h erreichen. Da stoßen unsere normalen Schnellzüge längst an Grenzen. Aber wie gesagt: Meine Profession beginnt dort, wo es interessant wird, warum solche Technologien trotz ihrer genialen Funktionsweise „abgesagt“ werden.

Gehen wir darauf näher ein: Der Transrapid gilt vielen als ein Symbol für das Scheitern deutscher Innovationspolitik. Warum ist dieser Techniktraum nicht real geworden?

Der Fall Transrapid ist ein Beispiel für das, was man als Scheitern ziemlich radikaler, weitreichender Innovationen in komplexen organisationalen Feldern bezeichnen kann. Hier geht es ja nicht allein um Technik, sondern um ein Zusammenspiel einflussreicher Organisationen, von Erwartungen und Entwicklungspfaden. Technologisch war der Transrapid seiner Zeit weit voraus. Doch das reicht nicht. Innovationen müssen sich in bestehende sozio-technische Konstellationen einfügen; also in bestehende Infrastrukturen, politische Programme, wirtschaftliche Interessenlagen und sogar in die Zukunftsbilder der Gesellschaft.

Der Transrapid „kollidierte“ mit der fest etablierten und hochvernetzten Rad-Schiene-Infrastruktur, wie sie seit dem 19. Jahrhundert bestand. Die politische Ambivalenz bei diesem Projekt erwies sich als hoch. Und dann gab es eine Öffentlichkeit, die nicht im Detail nachvollziehen konnte, wie sich so ein progressives Verkehrskonzept in seinem Kosten-Nutzen-Verhältnis darstellt. In der Innovationsforschung spricht man von Pfadabhängigkeit und Lock-in-Effekten: Wenn Organisationen, Infrastrukturen und Investitionen einmal auf einem bestimmten Weg sind, man mit ihnen lebt oder davon abhängig ist, dann kann es schwerfallen, Alternativen durchzusetzen – selbst wenn diese, isoliert für sich betrachtet, als überlegen gelten. Man hat sich dann, wie ein Zug auf seiner Schiene, fest an eine Spur gebunden.

Kann man sagen, der Transrapid scheiterte nicht an sich, sondern am sozialen Kontext?

Das kann man. Technologien setzen sich ja nicht einfach durch, weil sie für alle gleich objektiv „besser“ sind. Sie müssen in verschiedene politische und ökonomische Ordnungen eingebettet werden. Die Kunst bei der Einführung einer neuen folgenreichen Technologie ist die, dass man weit auseinander liegende, einflussreiche Akteure und Instanzen berücksichtigt und involviert. Schließlich sind Technologien soziale Koproduktionen – sie müssen Sinn stiften, Erwartungen erfüllen und Anschluss finden an das, was da ist und genutzt wird. Die Innovation fällt nicht vom Himmel und wird uns nicht durch die Naturgesetze in die Hand gedrückt. All das muss erstmal aufwändig geplant, hergestellt und etabliert werden.

Der Transrapid war, sozusagen in Ermangelung seiner Konnektivität, ein Bruch, keine reine Weiterentwicklung. Das Rad wurde nicht neu erfunden, sondern, ganz im Gegenteil, es wurde buchstäblich abgeschafft. Solch starke Setzungen erfordern starke Konsortien. Doch die Koalition für den Transrapid war nicht sonderlich stabil. Der da noch recht junge, selbst erst vor wenigen Jahren eingeführte ICE ließ sich in die Infrastruktur integrieren, der Transrapid nicht bzw. nicht ohne erhebliche Aufwendungen für einen neuen Netzausbau. Und wenn Leute hören, was man erstmal alles tun muss, bis etwas funktionieren könnte, stellen sie die Sinnfrage.

Der Transrapid entstand in einem Netzwerk verschiedener Akteure. Wie hat dieses Netzwerk die Entwicklung des Projekts beeinflusst?

Zunächst natürlich die Industrieunternehmen, allen voran Siemens und ThyssenKrupp, die den Transrapid federführend entwickelt und gebaut haben. Ihr Interesse war insbesondere auf den Exportmarkt gerichtet – weniger darauf, für Deutschland ein vollständiges Netz aufzubauen. Dann die Bundesregierung, die in wechselnder Besetzung zwischen Förderwillen und politischem Pragmatismus schwankte. Während unter der Regierung Kohl der Transrapid als Symbol deutscher Technologieführerschaft galt, war die rot-grüne Koalition ab 1998 skeptischer. Sie hat das Projekt, in Übereinstimmung mit der Deutschen Bahn, dann im Sommer vor 25 Jahren offiziell beendet. Hinzu kamen die Länder: Bayern setzte lange auf den Transrapid, Niedersachsen ebenso – dort gab es die Versuchsstrecke in Lathen in Emsland. Hamburg galt als nie wirklich interessiert, Berlin wechselte seine Position.

Ein Schlüsselakteur war die Deutsche Bahn. Ihre Rolle erwies sich als projektkritischer Faktor. Sie war frühzeitig in die Planung eingebunden, der Transrapid trug auf der Teststrecke sogar das Corporate Design der DB (siehe Bild, Anmerk. Red.) – er sollte ursprünglich als Teil ihres Angebots verkehren. Doch mit der Bahnreform 1993 und der zunehmenden wirtschaftlichen Eigenverantwortung entwickelte sich die strategische Priorität Ende der 1990er Jahre weiter in Richtung ICE, der eigentlich der innovative Paradezug war. Planungen und Investitionen für Netzausbau und Netzüberholung wurden rund ums Rad-Schiene-System forciert. Insofern agierte die Bahn zu ihren Gunsten. Die zusätzliche Entwicklung eines separaten Hochgeschwindigkeitssystems erschien weder wirtschaftlich noch betrieblich attraktiv.

Schließlich spielte die Öffentlichkeit eine Rolle: Medien, Umweltverbände und Bürgerinitiativen nährten Zweifel an Sinn und Nutzen des Projekts. In der Summe war das statt einer Allianz eher ein heterogenes Interessengeflecht mit widersprüchlichen und konträren Kostenvorstellungen und mit von Skepsis und Misstrauen getragenen wechselseitigen Absicherungs- und Abwehrreaktionen. Funktioniert ein Netzwerk gut, braucht es kein mächtiges Zentrum, das alles steuert. Wenn es nicht gut läuft, geht es am Mangel einer Zentralsteuerung zugrunde.

Können Sie das Kosten-Nutzen-Problem noch weiter erläutern?

Am Ende ging es vor allem um das liebe Geld. Die ursprünglich kalkulierten Baukosten für die Strecke Hamburg–Berlin lagen bei rund 6 Milliarden D-Mark, das entsprach etwa 3 Milliarden Euro. Kurz vor Projektstopp im Jahr 2000 rechnete man bereits mit fast 10 Milliarden D-Mark, also gut 5 Milliarden Euro. Die erhebliche Kostensteigerung – für ein System, das neue Trassen, Bahnhöfe, Wartungsinfrastruktur und Kontrolltechnik erforderte – brachte das Projekt in eine Legitimationskrise. Und an dieser Stelle begannen sich die Nutzenerwartungen dramatisch zu verändern. Das wird jetzt was zahlenlastig. Darf ich noch?

Bitte, nur zu!

Ursprünglich war der Plan, mit dem Transrapid die Strecke Hamburg–Berlin in ungefähr 60 Minuten zurückzulegen – das klang nach einem spürbaren Fortschritt gegenüber dem damaligen Bahnverkehr von über 120 bis 145 Minuten je Destination. Doch bei näherer Betrachtung zeigte sich: Aufgrund notwendiger Verlangsamungen im Stadtraum, geplanter Zwischenhalte und Zufahrten zu Terminals, hätte sich die tatsächliche Zeitersparnis gegenüber einem weiter ertüchtigten ICE-Verkehr um nur noch 30 bis 40 Minuten verkleinert. Man rechnete dann für den Transrapid eher mit 75 Minuten oder mehr.

Heute – ein Vierteljahrhundert später – braucht der ICE auf der Strecke Hamburg–Berlin, bei schnellster Verbindung 103 Minuten. Diese Verkürzung sahen die damaligen Planer der Bahn kommen. Das, was man damals an Zeitverkürzung versprochen hat, wurde mittlerweile ziemlich aufgeholt – mit einem System, das auf der konventionellen Infrastruktur operiert. Im Lichte einer solchen Prognose erschien der Transrapid wie eine überambitionierte Parallelentwicklung. Wenn die Nutzenargumente bröckeln, die Kosten explodieren, und zugleich das konventionelle System besser wird, dann bröckelt die Geschäftsgrundlage.

Stichwort Politik: Welche Rolle spielte sie bei alledem?

Der Transrapid führt vor Augen, was man einen politisch-wirtschaftlichen Koordinationskollaps nennen kann. Großprojekte solcher Art brauchen eine Koordination zwischen Bund, Ländern, Industrie, Bahn und Wissenschaft. Solche Arenen sind, wie erwähnt, bei Riesenvorhaben verlässlich von widersprüchlichen Interessen und institutionellen Eigenlogiken geprägt. Der politische Wille war fragil: Die Bundesregierung unterstützte das Projekt zeitweise, aber in den Ländern gab es andere Prioritäten. Die lokalen Pläne für den Transrapid in der Rhein-Ruhr-Region oder in München – wir erinnern Edmund Stoibers berühmte Rede – fallen nicht ins Gewicht. Das waren Nahverkehrskonzepte und damit Ersatzlösung für den zwecks Fernverkehr konzipierten Zug.

Sie haben in einer Studie das ICE-Zugunglück von 1998 untersucht. Hat der schwere Unfall des Transrapid in Lathen im Jahr 2006 auch Einfluss genommen?

Der Unfall im Emsland mit 23 Toten, auf jener Versuchsstrecke, auf der alles anfing, hat das öffentliche Bild beeinträchtigt, war jedoch nicht ursächlich für das Ende. Der Unfall war das, was, zynisch gesprochen, gerade noch gefehlt hatte. Technologische Zukunftsversprechen sind unstetige Konstrukte. Der Transrapid wurde als „unverunfallbar“ präsentiert, als Symbol technischer Perfektion. (Es soll ja schon „unsinkbare“ Schiffe gegeben haben.)

Ein Unfall untergräbt die positiven Narrative. Obwohl er, nochmal sei es erwähnt, nichts über Qualität und Sicherheit der Technologie aussagt. Im konkreten Fall lag es am menschlichen Fehler bzw. Versäumnis. Solche Ereignisse sind allerdings für Technologien, die ohnehin um ihre Akzeptanz ringen, fatal. Aber nochmal: Zu diesem Zeitpunkt stand der Transrapid praktisch auf dem Abstellgleis. Lange Zeit verrotteten die Wagen an der Teststrecke. Inzwischen hat sich ein Förderverein ihrer Erhaltung angenommen. Der Zukunftszug hat das museale Stadium erreicht. Ich denke, das macht deutlich, über welche Dimension wir sprechen.

Warum funktioniert das Projekt in China, nicht in Deutschland?

Technologische Innovationen sind förderpolitisch und kulturell verschieden eingebettet. In China wurde der Transrapid als Prestigeprojekt gewollt und durchgesetzt – unabhängig von rein ökonomischen Erwägungen. Die Entscheidungsstrukturen sind, wie wir wissen, weniger fragmentiert und können politisch stark dirigiert werden. Doch selbst in China ist der Transrapid bislang eine Insellösung geblieben. Es gibt zwar Pläne für ein größeres Netz, nur ist das noch primär gedanklich und experimentell. Der Transrapid ist dort nach wie vor ein Flughafenzubringer in Shanghai, keine breite und nachhaltige Verkehrslösung. Die strukturellen Probleme dieser Technologie lagen nicht bloß in Deutschland, sondern in der Herausforderung einer gut integrierten Netzstruktur. Auch anderweitig wurden im Ausland Pläne mit dem Transrapid wieder verworfen. Aber klar: Er fährt immerhin in China – entwickelt von den Deutschen. Dem öffentlichen Eindruck nach heißt es dann: Die können es, wir nicht.

Was lernen wir daraus für den Umgang mit Innovationen?

Zum einen: Technische Überlegenheit garantiert keinen Erfolg. Innovationen müssen in bestehende Strukturen passen. Sie brauchen gesellschaftliche Andockstellen. Zweitens: Innovation ist normativ, nicht rein zweckfunktional. Was als „Innovation“ gilt, wird ausgehandelt über Medien, Diskurse, politische und wirtschaftliche Signale der Unterstützung oder Ablehnung. Ein Drittes: Organisationen sind tendenziell träge – nicht aus Dummheit, sondern gerade struktureller Stabilität. Ein Umbruch vom Rad-Schiene-System zur Magnetschwebebahn verlangt große Umstellungen. Die Wechselkosten sind beträchtlich. Vor allem, wenn man bedenkt, dass der Transrapid nicht das ICE-System abgelöst, sondern bestimmte Schnellfahrstrecken ergänzt oder parallelisiert hätte. Das Hamburg–Berlin-Szenario bot dafür ein ungünstiges Exempel. Und viertens: Scheitern solcher Art kann passieren. Es schmerzt vor allem jene, die viel Zeit, Arbeit und Passion investiert haben.

Radikale Lösungen setzen sich halt schwer durch – wenn man sie extra aufwändig einführen und steuern muss, wenn sie nicht von sich aus alles beeinflussen und verändern. Das ist kein Unglück, sondern ein systemisches Merkmal, wie in unserer Gesellschaft das Neue in die Welt kommt. Dass man dabei mancher Selbsttäuschung zum Opfer fällt, das geht Top-Managern so wie Regierungschefs und Ingenieuren. Der schneidig durch Wind und Wetter düsende Zukunftszug war eine tolle Idee. Technologie ist ein gutes Stück Fantasie und Faszination.

Wir haben jetzt über Politik und Organisationsprobleme gesprochen. Was ist mit unserem gesellschaftlichen Bild von Zukunft, wenn es um Innovationen geht?

Innovationen leben von Zukunftsbildern, die sie transportieren. Techniksoziologisch sprechen wir hier von „Imaginarien“ oder Zukunftserwartungen. Der Transrapid stand in den 1980er und 1990er Jahren für eine Zukunft, die von High-Tech, Geschwindigkeitsrausch und Fortschritt geprägt war. Es gab diese typische Science-Fiction-Komponente. Die Image-Filme der damaligen Zeit sprechen für sich. Auch der ICE verkörpert diesen Stil. Sein ursprüngliches Design ist mittlerweile in die Jahre gekommen, aber die alten Modelle wirken noch futuristisch. Da wurde eine robuste Marke geschaffen. Was ja ein wesentlicher Grund dafür ist, dass man seinem sportiven Konkurrenten, dem Transrapid, nicht vorbehaltlos mit Begeisterung begegnete.

Zukunftsbilder verändern sich. Ende der 1990er begannen andere Narrative wichtiger zu werden: Nachhaltigkeit, Effizienz oder Integration in bestehende Verkehrskonzepte. Der Transrapid wurde allmählich nicht mehr als von Übermorgen, sondern als überholter Traum vergänglicher Modernitätsvorstellungen wahrgenommen. Kaum supermodern, schon out. Der Erfolg von Innovationen hängt also auch davon ab, ob sie mit den jeweils dominierenden Vorstellungen von Zukunft kompatibel sind – und wie man darüber spricht.

Sie sprachen von Erwartungen. Inwiefern kann man sagen, dass der Transrapid an zu hohen Erwartungen gescheitert ist?

Eine Beobachtung aus der Innovationsforschung ist, dass technologische Entwicklungen durch Overpromising, also überhöhte Zukunftsversprechen, in Schwierigkeiten geraten. Die Magnetschwebebahn wurde von Befürwortern als „hochsicher“, „lautlos“, „völlig neu“ inszeniert – als Wunderwerk. Solche Erwartungen bauen Fallhöhen auf. Wenn es dann Probleme und Zweifel gibt, schlägt die Wahrnehmung um. Erst kommt die Euphorie, der folgt Ernüchterung und manchmal die völlige Ablehnung. Lektüretipp am Rande: Ein Buch, das die gesellschaftliche Dimension des Neuen auf rund 100 Seiten analytisch und theoretisch gut skizziert, heißt einfach nur: „Innovation“. Geschrieben von Holger Braun-Thürmann. Man kann es inzwischen frei herunterladen. Ich nutze es in meinen Seminaren als Grundlagentext.

Warum interessieren sich Gesellschaftsforscher wie Sie für solche „Tech-Stories“?

Weil sie uns zeigen, wie die Gesellschaft über Modernität und Zukunft nachdenkt, kommuniziert und damit ihre Wirklichkeit schafft. Große Technologie entsteht nicht einzig in Laboren und Fertigungshallen, sondern vor- und nachgelagert in Entscheidungsprozessen, mithilfe der Politik, geprägt von Diskursen und Anschauungen der jeweiligen Zeit. Der Transrapid erzählt uns eine große Geschichte über Modernität, gemischte Stimmungen und wechselvolle Erwartungen. Solche Erzählungen bleiben aktuell, wenn wir heute über die Künstliche Intelligenz, den Quantencomputer, autonome Fahrzeuge oder den Hyperloop sprechen. Letzterer übrigens entstand zumindest gedanklich im selben Umfeld wie der Transrapid. Die ersten Ideen für eine superschnelle Vakuumröhrenbahn hatte, wie jene vom Transrapid, der Besitzer einer Fleischfabrik im Osnabrücker Land, der Ingenieur Hermann Kemper in den 1930er Jahren, den wir hier noch erwähnt haben müssen. Aber das ist schon eine andere Geschichte.

Vielen Dank für das Gespräch.

Weiterer Beitrag im Deutschlandfunk mit Marcel Schütz: Vom Ende eines Zukunftszugs

Prof. Dr. Marcel Schütz ist Professor für Organisation und Management und unterrichtet Projekt- und Innovationsmanagement an der NBS. Zudem ist er an den Universitäten Oldenburg und Bielefeld assoziiert. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Organisations- und Gesellschaftsforschung. Er ist Mitglied der vom Bundesforschungsministerium geförderten interdisziplinären KI-Forschungsgruppe KIWIT. In seinen Studien hat er unter anderem die Unfallkomplexe um das ICE-Unglück bei Eschede, den Absturz der Swissair bei Halifax sowie den Untergang der Fähre Estonia untersucht.

Kontakt: schuetz[at]nbs.de